Neun Jahre Krieg in der Ukraine
Vor wenigen Wochen, am 24. Februar, meldeten sich viele Politiker*innen, Journalist*innen etc. zu Wort. Sondersendungen zum Jahrestag des Ukrainekrieges wurden gesendet. Jeder sprach über ein Jahr Krieg in Europa. Über ein Jahr seit dem völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine.
Nur einige wenige Stimmen merkten zurecht an, dass Krieg und Leid in der Ukraine schon viel länger dauert als nur ein Jahr. Seitdem Proteste u.a. auf dem Maidan in Kyiv den Präsidenten Janukowytsch aus dem Amt drängten und die Ukraine sich verstärkt in Richtung EU und NATO orientierte, griff Russland unter Putin immer wieder in die staatliche Souveränität der Ukraine ein. Heute vor neun Jahren am 18. März 2014 annektierte Russland völkerrechtswidrig die Krim und weniger als einen Monat später begann Mitte April der Krieg im Donbas. Seit neun Jahren befindet sich mindestens der Osten der Ukraine in einem, nur von brüchigen Feuerpausen unterbrochenem, dauerhaftem Kriegszustand. Von Russland unterstützte Separatist*innen in den Regionen um Luhansk und Donezk kämpfen für eine Loslösung von der Ukraine. Angeblich setzen sie damit den Willen der Bevölkerung um, in Wahrheit aber sind sie willige Erfüllungsgehilfen des Kremls und seiner imperialistischen Politik.
Die Eskalation des bereits seit 2014 andauernden Konflikts infolge der russischen Invasion letztes Jahr sollte uns gezeigt haben, wie gefährlich es ist, wenn wir außenpolitische Situationen nicht als das beschreiben, was sie sind. In der Ukraine herrscht seit neun Jahren Krieg. Der Angriff Russlands war, wenn man die Situation in der Ukraine seit 2014 als bereits stattfindenden Konflikt wahrgenommen hätte, keine Überraschung. Es war weniger eine Frage ob es passiert, sondern vielmehr wann – wann Putin und sein Regime die Möglichkeit ergreifen.
Genauso wenig überraschend ist es, dass im Rahmen eines solchen Konfliktes grausamste Verbrechen begangen werden und vor allem die Zivilbevölkerung unglaubliche Qualen durchleben muss. Diese Verbrechen kann kein Völkerrecht dieser Welt verhindern. Keine Konvention, kein Abkommen verunmöglicht das Verbrechen der Aggression, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord, wenn der Konflikt erstmal begonnen wurde.
Diese Konventionen und Abkommen wirken auf zwei Wegen. Erstens wirken sie präventiv. Sie beinhalten eine Verpflichtung für alle (Vertrags-)Staaten, die geächteten Verbrechen, Waffensysteme etc. vor ihrer Begehung oder ihre Anwendung zu verhindern. Solchen Staaten, die potenziell bereit sind die Abkommen zu brechen, im Vorfeld dazu zu zwingen entsprechende Vorhaben garnicht erst umzusetzen. Zweitens dienen sie dazu, wenn die Prävention gescheitert ist Verantwortlichkeiten zu begründen auf Basis derer diejenigen, die die Abkommen gebrochen haben und grausamste Verbrechen begangen haben, bestraft werden können.
Neben der Frage der Verantwortlichkeit müssen wir die zivilen Opfer in den Fokus rücken. Die Qualen, die in Konflikten verursacht wurden, müssen uns allen ein Antrieb sind, beim nächsten Mal wachsamer zu sein, genauer hinzugucken und zukünftige Konflikte gar nicht erst ausbrechen zu lassen. Und diese Verantwortlichkeit für die Verbrechen trägt in Bezug auf die Opfer immer auch die internationale Staatengemeinschaft als Gesamtheit. Eine Verantwortlichkeit den Opfern gegenüber, dass sie Unterstützung erhalten, auch nach Ende des Konflikts, und dass sie ganz besonders vor neuer Gewalt geschützt werden. Nicht die Betroffenen sollten es sein, die uns regelmäßig an die Verbrechen erinnern. Sie dürfen niemals aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwinden.
Der 18. März 2014, der 13. April 2014 und auch der 24. Februar 2022 müssen gemeinsam mit anderen Daten, wie denen des Massakers von Srebrenica, der Belagerung von Sarajevo, der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau und zahlreicher weiterer, fest in unserem kollektiven Gedächtnis verankert werden. Keine Floskeln von „kein Krieg in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges mehr“, die die mehr als Hunderttausend Toten des Krieges nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens vergessen, sondern ein Gedenken frei von Geschichtsfledderei mit dem Ziel der moralischen Überhöhung des Westens.